von Dr. Jens Hoffmann und Mirko Allwinn
Nach dem Amoklauf in der Münchner Innenstadt im Juni dieses Jahres führte unser Institut auf der Basis von öffentlich zugänglichen Informationen eine vorläufige kriminalpsychologische Analyse des Falles durch.
Obgleich die Tat nicht an einer Bildungseinrichtung, sondern im öffentlichen Raum stattfand, zeigte sich, dass der Täter aus München identische Risikofaktoren zeigte, wie sie bereits von Schulamokläufern bekannt sind.
Beispielsweise identifizierte sich der Täter mit anderen Amokläufern vor ihm und reiste sogar nach Winnenden, einem Ort, in dem 2009 ein verheerender schulischer Amoklauf stattgefunden hatte. Der 18-jährige machte bedrohliche Äußerungen eine Gewalttat zu begehen und versuchte zudem durch einen gefakten Facebook Account weitere potenzielle Opfer anzulocken. Auch fühlte er sich gemobbt oder war tatsächlich an seiner Schule zum Ziel von Mobbing geworden.
Wir analysierten den Münchner Fall mit dem wissenschaftlich fundierten Risikoeinschätzungsinstrument DyRiAS-Schule (http://dyrias.com/de/systeme/dyrias-schule.html). Das Instrument war ursprünglich ausschließlich für schwere zielgerichtete Gewalttaten an Schulen durch gegenwärtige oder ehemalige Schüler konzipiert und validiert.
Der Täter aus München erreichte hier die höchste Risikostufe, welches aussagt, dass eine schwere Gewalttat möglicherweise unmittelbar bevorsteht. Es scheint also, dass dieses Risikomuster nicht nur für Jugendliche und junge Erwachsene gültig ist, die planen, eine Amoktat direkt in ihrer Schule durchzuführen. Entscheidender ist möglicherweise die Identifizierung mit anderen schulischen Amokläufern in Verbindung mit dem subjektiven Gefühl der Schule als biographischer Unrechtsort, der prinzipiell einen Rachefeldzug an verschiedenen Orten möglich macht. Unser Institut strebt zu dieser Fragestellung weitere Forschungsarbeiten an.
Es zeigt sich somit, dass die von den Jugendlichen aufgegriffenen Amokläufer-Skripts, wie wir sie bislang kannten, sich in einem Wandel befinden. Neben den klassischen Schulamokskripten werden mittlerweile zunehmend radikale Ideologien mit aufgegriffen. So kommunizierte der Münchner Täter bei unterschiedlichen Gelegenheiten fremdenfeindliche Einstellungen gegenüber Dritten und schimpfte auf Ausländer. Seinen Geburtsnamen Ali änderte er in einen deutschen Vornamen David. Zudem heißt es, dass er stolz darauf gewesen sei, dass sein Geburtstag auf Hitlers Geburtstag fiel.
Fachpersonen im Bedrohungsmanagement sollten also fortlaufend den Wandel von Verhaltensmustern und Risikokonstellationen in ihrem Tätigkeitsbereich im Blick behalten und sich etwa durch wissenschaftliche Veröffentlichungen, Fallstudien und Fachveranstaltungen über den neuesten Stand informieren.