Die Anschläge kleiner terroristischer Gruppen in Frankreich in den letzten Tagen zielten primär auf die Freiheit und auf das Selbstverständnis unserer Demokratien. Und sie haben Wirkung gezeigt. Angst geht um. Mehrere Medien, darunter das deutsche Wochenmagazin "Die Zeit", haben mit großer Offenheit berichtet, dass sie tief verunsichert sind (wobei die Online Ausgabe der "Zeit" ein Foto ihrer verwundbaren Glasfassade als Aufmacher zeigte, was aus bedrohungsanalytischer Sicht problematisch ist, da das Offenbaren von Verwundbarkeiten ein Anschlagsrisiko eher erhöht). Und auch der Nachahmungseffekt bei solchen Taten trat schon wenige Tage später in Erscheinung: Auf die "Hamburger Morgenpost" wurde ein Brandanschlag verübt, nachdem die Redaktion Mohammed-Karikaturen aus "Charlie Hebdo" nachgedruckt hatte.
Das Entsetzen ist auch groß, dass die Mörder im Herzen Europas mit religiösem Fanatismus offenbar gezielt Menschen mit jüdischem Glauben getötet haben. Zugleich zeigen die Bürger Europas neben einer tiefen Betroffenheit eine hohe Solidarität und auch den Willen, ihre freien Gesellschaften nicht durch Terrorismus beschädigen zu lassen. So betrachtet, könnten die Attentate im Großraum Paris sogar langfristig das Gegenteil bewirken, was die Terroristen planten, nämlich ein Zusammenstehen und ein neues Bewusstsein und ein Stolz auf den Wert unserer Demokratien.
Aber auch eine weitere perfide Agenda des muslimischen Terrorismus gilt es im Auge zu behalten. Bereits bei den Anschlägen des 11. Septembers 2001 war es das erklärte strategische und langfristige Ziel der Täter, eine Spaltung zwischen der arabischen und der westlichen Welt zu bewirken. Angst, Hass und Entfremdung sollten einziehen zwischen den Religionen. Zum Teil ist dies gelungen, wie islamfeindliche Bewegungen in Europa und sichtbar auch in Deutschland zeigen. Um die Anschläge in Frankreich nicht zum Erfolg für die Terroristen werden zu lassen, müssen wir weiter offensiv für Religionsfreiheit eintreten.
Es gilt nun aber auch entschlossen jedem Generalverdacht gegenüber muslimischen Bürgern oder Glaubensgemeinschaften entgegenzutreten. Dies bedeutet natürlich keinesfalls, dass kritische Auseinandersetzungen mit demokratiefeindlichen religiösen Strömungen - egal welcher Richtung - nicht geführt werden sollten. Aber lassen wir nicht Vorurteile die Diskussion bestimmen, die zu weiteren Gräben und Entfremdungen führen.
Ali Soufan, ein versierter und differenzierter Experte des Themas islamischer Terrorismus, erklärte jetzt nach den Anschlägen in Paris, dass unsere westlichen Gesellschaften in den kommenden Jahren weiter mit derartigen Attentaten rechnen müssen. Dies kann mit einer Bandbreite geschehen, die von sich selbst radikalisierenden Einzeltätern reicht, wie der bisher einzige tödliche islamistische Anschlag in Deutschland 2011 am Frankfurter Flughafen, über kleine Terrorzellen wie in Paris, bis hin zu umfangreichen geplanten Plots.
Unser Institut beschäftigt sich schon seit einiger Zeit mit Radikalisierungsprozessen und terroristischen Kleingruppen und Einzeltätern. Eine erste bedrohungsanalytische Fallstudie zu dem rechtsradikal motivierten Attentat auf das Regierungsviertel in Norwegen und auf ein Jugendcamp wurde von uns in 2014 veröffentlicht. Weitere Publikationen zu dem Thema erscheinen in diesem Jahr. Gemeinsam mit Terrorismusexperten aus den USA und Großbritannien führen wir zur Zeit eine internationale Studie zu Fällen von Lone Actor Anschlägen durch. Auch ein Seminar zum Thema Bedrohungsmanagement und Terrorismus ist für dieses Jahr avisiert.